20 Jahre GUBBIO - Interview mit Sr. Alexa
Gubbio - die katholischen Obdachlosenseelsorge in Köln
DOMRADIO.DE: Sie sind Anfang der 1990er-Jahre in der Innenstadt von Köln herumgegangen und haben obdachlose Menschen angesprochen. Was hat Sie dazu gebracht?
Schwester Alexa Weismüller (Mitbegründerin der Obdachlosenseelsorge "Gubbio" in Köln): Das war, als wir 1991 nach Köln gezogen sind. Ich wollte wissen, wer dort im Viertel wohnt. Dann bin ich systematisch das ganze Viertel abgelaufen. Wir haben an der Viktoriastraße gewohnt, beim Eigelstein. Jeder weiß, dass der Eigelstein kein einfaches Viertel ist. Und dann habe ich unsere Nachbarn kennengelernt.
DOMRADIO.DE: Stellen wir uns mal die Situation vor. In der Fußgängerzone in der Nähe vom Kölner Dom sitzt ein Mensch, mit einem Schlafsack, den er sich um die Beine gewickelt hat. Er hat einen Pappbecher vor sich stehen, in dem er Geld von Passanten sammelt. Vielleicht riecht dieser Mensch auch unangenehm. Sie stehen dann in Ihrem Habit vor ihm, oder vor ihr. Was haben Sie dann gemacht?
Sr. Alexa: Ich brauchte gar nichts machen, wenn ich da stehen geblieben bin und die Menschen begrüßt habe, haben sie von sich aus das Gespräch angefangen und gefragt, wo ich herkomme und was ich mache. Sie sagten, dass es schön ist, dass ich da bin und mich mit ihnen unterhalte. Meistens ging das von den Obdachlosen selber aus.
DOMRADIO.DE: Dass daraus eine so große Obdachlosenhilfe wird, hätten Sie damals auch nicht gedacht. War das ein schwerer Weg?
Sr. Alexa: Ein langer Weg war das. Das hat sich rumgesprochen und ich bin dann mit Bruder Hermann-Josef, der damals auch dabei war, durch die Straßen gelaufen und die Leute haben mich angesprochen. Das ist gewachsen.
Es wurden immer mehr Menschen, wir haben Gespräche geführt auf dem Bordstein und in der U-Bahn. Wir wussten nicht, wo wir uns mit treffen sollen. Treffpunkte mit Obdachlosen sind etwas vage. Meistens kamen sie nicht. Deshalb ist der Weg sehr lang gewesen.
DOMRADIO.DE: Wie hat man deutlich machen können, dass diese Fürsorge für die wohnungslosen Menschen immer wichtiger wurde?
Sr. Alexa: Die steigenden Zahlen an Obdachlosen waren schon ausschlaggebend, aber da war noch was anderes. Der heutige Berliner Erzbischof Koch war damals im Seelsorgeamt und ich bin jede Woche zu ihm gegangen, um ihm mein Leid zu klagen. Dass wir viele Menschen haben, dass wir gerne mehr machen würden, wir aber nicht wüssten, wo wir das tun sollen. Der hat sich, glaube ich, sehr viele Gedanken darüber gemacht, was man denn machen könnte.
Eines Tages ist er auf mich zugekommen und hat gesagt: "Da an der Franziskanerkirche ist doch ein Häuschen. Könnt ihr das brauchen?" Dann sind wir beide dort hingegangen und haben uns das angeschaut. Das waren bloß drei kleine Räume und noch nicht geeignet. Dann hat der Architekt sehr schnell eine Wand dort herausgebrochen und uns einen ganz netten Raum eingerichtet, wo wir uns treffen konnten.
DOMRADIO.DE: Bis 2006 hatten Sie eine von zwei extra vom Erzbistum Köln eingerichteten Stellen gehabt. Die andere Stelle hatte der Franziskanerpater Ulrich Gellert. Was hat sich, wenn Sie auf diese 20 Jahre zurückblicken, an der Obdachlosen-Seelsorge Gubbio verändert?
Sr. Alexa: Wenn man einen Platz hat, kann man viele Dinge organisieren. Da hat sich natürlich viel verändert. Wir haben in den Anfangszeiten auch ohne Platz und eigene Räumlichkeiten Feiertage gefeiert, Palmsonntag, Gründonnerstag, Karfreitag, eine Prozession gemacht und solche Dinge. Das ist heute alles wesentlich einfacher.
Es ist wunderbar, was dort gewachsen ist. Wir haben den ersten Gottesdienst in einer Kirche gefeiert, die keine Heizung hatte und ein Loch im Fenster. Heute ist alles so wunderbar geregelt. Es wurde umgebaut, die Küche eingebaut und viele Dinge sind heute ganz einfach geworden.
DOMRADIO.DE: Gubbio möchte nicht nur ein Ort sein, wo ganz unterschiedliche Menschen von der Straße Auszeiten vom Straßenalltag finden, sondern auch eine kirchliche Beheimatung. Was heißt das genau?
Sr. Alexa: Dass Menschen dorthin kommen können, die über ihren Glauben reden möchten. Sie dürfen darüber sprechen, was sie bewegt. Sie werden ernst genommen und gehört. Sie dürfen sich beteiligen und werden wirklich gesehen.
DOMRADIO.DE: Es gibt einmal die Woche das Angebot der Bibel-Gespräche. Worum es dabei geht?
Sr. Alexa: Das hat 1991 schon angefangen, weil mich jemand gefragt hatte, ob ich die Bibel lese. Der kam von den Mennoniten. Da meinte ich: Ja, ich lese die Bibel. "Können wir das zusammen machen?", hat er mich gefragt. Er meinte, er sucht noch ein paar Leute dafür und dann hat das angefangen.
Wir haben angefangen zu lesen und es ging sofort los. Was kann man davon mitnehmen? Was versteht man? Das hat sich, denke ich, immer weiterentwickelt. Die Gruppe ist ja viel größer geworden. Das ist ein Ort für Menschen, die über ihren Glauben reden können. Und man staunt. Ich habe manchmal gedacht: So was habe ich noch nie von jemand anderem gehört! Wie echt und wie tief und wie motiviert diese Menschen sind.
DOMRADIO.DE: Es gibt auch Messfeiern mit anschließendem gemeinsamem Abendessen. Wie wichtig sind solche Angebote für Menschen, die auf der Straße leben?
Sr. Alexa: Die brauchen über das Essen und über beispielsweise die Wärme im Winter hinaus auch einen Heimatort und eine kirchliche Heimat für ihren Glauben. In unseren normalen Kirchen sind sie sehr selten. Vielleicht auch gar nicht.
Oft werden sie ja schräg angeguckt und bekommen keinen Platz in der Gruppe. Bei Gubbio dürfen die Menschen sein, wie sie sind. Sie dürfen riechen, sie dürfen was sagen, sie werden ernst genommen. Sie dürfen einfach sein.
DOMRADIO.DE: Ist es das, was so besonders guttut?
Sr. Alexa: Ja, das tut gut. Auf der Straße sind sie alle vereinzelt.
DOMRADIO.DE: Heute sind es rund 30 Ehrenamtliche, die von der Leitung koordiniert und geschult werden. Wollten in der Anfangszeit auch schon so viele Menschen unterstützen?
Sr. Alexa: So viele waren es nicht. Das ist ja eine 20-jährige Entwicklung gewesen. Ganz am Anfang hatten wir aber auch einige Menschen, die uns dabei geholfen haben, wenigstens Kaffee zu kochen.
DOMRADIO.DE: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie daran denken, was heute alles möglich ist? Mit Wallfahrten, Einkehrtagen und Ferienfreizeiten?
Sr. Alexa: Dass sich das wunderbar entwickelt hat. Wir haben auch damals schon Wallfahrten gemacht. Als wir noch keine Kirche und keine Räume hatten, waren wir schon in Assisi. Gubbio ist größer geworden, in der Kirche bekannt geworden.
Früher hat sich keiner zuständig gefühlt und seitdem Weihbischof Puff mit drin ist, hat Gubbio auch nochmal einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Nicht nur im Ansehen, sondern auch für die Menschen, die dort hinkommen, sodass sie sich ernst genommen fühlen und dass sie gesehen werden.
DOMRADIO.DE: Nun wird gefeiert und sie treffen viele alte Weggefährten und Weggefährtinnen. Worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Sr. Alexa: Ich freue mich darauf, dass die Menschenwürde gefeiert wird, die Augenhöhe gefeiert wird, dass die Zuwendung zu den Armen gefeiert wird und dass Arme einen Platz in der Kirche bekommen haben. Das ist einfach wunderbar.
Was Besseres kann der Kirche gar nicht passieren, als dass man die Armen feiert.
Das Interview führte Dagmar Peters.